Zur Geschichte der Bonifatiusgemeinde
Die noch vorhandene Chronik der Bonifatiusgemeinde berichtet vom Erwerb eines Grundstücks für einen Kirchenneubau Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieser sollte zur Entlastung der Propsteikirche als Mutterkirche der katholischen Dortmunder Kirchen am südlichen Stadtrand dienen. Der Mainzer Dombaumeister Prof. Ludwig Becker und sein Münsteraner Kollege Sunder-Plaßmann stellten bis Januar 1909 die Pläne für den neuen Kirchenbau fertig, der am 23. Oktober 1910 vom Paderborner Bischoff Karl-Josef Schulte konsekriert wurde. Die neue Kirche wurde dem benediktinischen Missionar, Bischof und Märtyrer Bonifatius geweiht.
Man erbaute sie ganz im Sinne des Historismus in einem für die Bauaufgabe als angemessen betrachteten „geschichtlich entwickelten christlichen Baustil“ (Eisenacher Regulativ), der Neoromanik.
Düster und abwehrend erscheint uns ihr mittelalterlich anmutendes Äußeres auf alten Fotos. In den folgenden Jahren trug die Gemeinde viel zur Ausschmückung des repräsentativen Baus mit Figuren und Altären bei. Der sehr ausgedehnte, locker besiedelte Bezirk der neuen Gemeinde wurde am 1. Oktober 1913 zur Pfarrei erhoben und erstreckt sich heute über die südöstliche Innenstadt.
Den Ersten Weltkrieg überstand das Gotteshaus unbeschadet. Nicht jedoch den Zweiten Weltkrieg: Zwei Bombenangriffe auf Dortmund am 23. Mai 1944 und 12. März 1945 zerstörten den alten Kirchbau und alle kirchlichen Gebäude bis auf wenige Reste völlig.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte das Gemeindeleben zunächst nur durch eine ausgelagerte Notkapelle in einem unzerstörten Wohnhaus mit Pfarrbüro und Wohnung eines Geistlichen (Rosa-Luxemburg-Straße) mühevoll aufrecht erhalten werden.
Der Wiederaufbau beginnt 1946 mit einem kleinen provisorischen Kindergarten in den Trümmern vor der Westseite der Kirche, den Jugendliche selbst eingerichtet hatten. Am 1. Februar 1947 wird auf dem Gelände der zerstörten Kindergartenanlage an der Ruhrallee eine größere Baracke als zweite Notkapelle geweiht. Werktags benutzt die immer zahlreicher werdende Kinderschar den großen Raum als Kindergarten, und zwar bis 1957, bis ein neues Gebäude fertig gestellt war.
Ende 1947 beginnt der Wiederaufbau des Pfarrhauses über der erhalten gebliebenen Kellerdecke des zerstörten alten Gebäudes. Die Erneuerung der Bonifatiusstraße incl. Wasser- und Abwasserkanalisation mit elektrischer Zuleitung ist gerade fertig gestellt, als im Juli 1949 das Pfarrhaus bezogen wurde. Zu diesem Julitermin wird auch Adolf März, Pfarrvikar an St. Martin in Dortmund, von Erzbischof Lorenz Jaeger zum Pfarrer ernannt. Der Anfang mit dem eigentlichen Zentrum St. Bonifatius ist damit gemacht.
Die erste Notkapelle wird aufgegeben. Für jeden Geistlichen ist ein Zimmer im Pfarrhaus vorhanden. Damit kann das Oratorium seine Seelsorge beginnen, vor allem vorbereitend auf das erwartete II. Vatikanische Konzil.
Bei seinem Amtsantritt im Juli 1949 hatte Pastor März einen Entwurf für den Wiederaufbau von St. Bonifatius durch den großen Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz vorgefunden, den dieser bereits 1948 entwickelt hatte. Der Entwurf, der Aspekte zur liturgiemäßigen Raumordnung jedoch noch unter Wahrung der traditionellen Wegkirche enthält, wurde aber vom damaligen Kirchenvorstand abgelehnt. Pastor März informierte sich umfassend über die moderne Sakralbaukunst in Deutschland und in der Schweiz. Im April 1951 hatte er Gelegenheit, auf der „Werktagung für den Kirchenbau“ auf Burg Rothenfels, an der die führenden Persönlichkeiten der Liturgischen Bewegung teilnahmen, den mit Rudolf Schwarz eng verbundenen Architekten Emil Steffann aus Bad Godesberg-Mehlem bei Bonn kennzulernen. Beeindruckt von dessen Vortrag „Können wir noch Kirchen bauen?“, in dem Steffann seine grundlegenden Gedanken zum Kirchenbau der Nachkriegszeit darlegte: „Bekenntnis zu Armut und Einfachheit; aus den umgebenden Trümmern geborstener Natursteine etwas ganz Bescheidenes zu bauen“, fiel 1951 die Wahl des Baumeisters der neuen Bonifatiuskirche auf Emil Steffann. Die Bauleitung und weitere Beratung übernahm Nikolaus Rosiny, Köln.
Vor dem Wiederaufbau fand die Enttrümmerungsaktion statt, die unzählige Ziegel- und Bruchsteine ergab, die alle für den Aufbau wieder verwendet wurden, wie es auch die Urkunde zur Grundsteinlegung 1953 bezeugt. Nach der Beseitigung erheblicher finanzieller Schwierigkeiten, ermöglicht durch Spenden der Gemeinde, konnten die Ausschachtungsarbeiten am 06. Juli 1953 begonnen werden. Die Grundsteinlegung fand am 13. September, das Richtfest schon am 17. November 1953 statt. Am 29. Mai 1954 erfolgte die feierliche Konsekration durch Erzbischof Lorenz Jaeger. Damit endete die lange Zeit der 2 Notkapellen, in denen zuletzt jahrelang jeden Sonn- und Feiertag 9 Meßfeiern gehalten werden mussten.
Mit rund 700.000 DM war die Bonifatiuskirche, trotz schwerer finanzieller Last für die Gemeinde, damals die preiswerteste Kirche der Stadt Dortmund.
Neun Jahre vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind in der Bonifatiuskirche die Reformen der Liturgischen Bewegung vollkommen in die räumliche Ordnung umgesetzt.
Die rege innere Aufbauarbeit in der immer größer werdenden Gemeinde wurde von 1949 – 1979/80 von einer Gruppe von Weltpriestern, einem Oratorium des # Hl. Philipp Neri, mitgetragen.
1976 erhielt die Kirche einen besonderen Akzent: Das farbige Glasfenster „Der brennende Dornbusch“ von Hans Kaiser, Soest, wurde in der Anbetungskapelle eingesetzt.
Die Gebäude um die Kirche erwuchsen im Laufe der Jahrzehnte zu einem das Gemeindeleben fördernden Zentrum.
Nikolaus Rosiny baute in den fünfziger Jahren den Kindergarten, 1958 vollendete er zudem das Gemeindehaus gegenüber dem Kirchenhaupteingang. Die Räumlichkeiten reichten später nicht mehr aus, aber es dauerte bis 1980, bis mit einem Neubau begonnen werden konnte. Das alte Gemeindehaus wurde 1978 im Innern als Pfarrhaus mit 3 Wohnungen umgebaut.
Anstelle des alten Pfarrhauses, das abgerissen werden musste, baute der Dortmunder Architekt Wolfram Funke bis Februar 1982 ein winkelförmiges Gemeindehaus mit vielfältigem Raumangebot.
Die Bauten von Rosiny und Funke gleichen sich dem Äußeren der Steffannschen Kirche vorzüglich an und bilden mit ihr zusammen ein abgerundetes baukünstlerisches Ganzes.
Raumeindruck
Betritt der Besucher den Kirchenraum, noch unter dem Eindruck des eher düsteren, gehöftartig zur Straße abwehrenden Äußeren, empfängt ihn überraschend ein weiter, lichter, stützenloser Raum von mediterraner Klarheit. Hell geschlämmte, ungegliederte Wandflächen, in die Rundbögen eingeschnitten sind, und zwei riesige rundbogige Öffnungen der Außenmauer im Süden und Westen, durch deren sprossenverstärktes, geriffeltes Glas das Tageslicht in den Raum flutet, bestimmen den Gesamteindruck.
Bei den behutsamen Renovierungsarbeiten 1992 durch das Dortmunder Architekturbüro Schwill & Bergstermann wurde die neue hochwertige Verglasung sorgfältig ausgewählt, damit der Charakter des ursprünglichen Riffelglases erhalten bleibt. Die Wahl der Verglasung hatte in der Nachkriegszeit nicht allein Kostengründe, sondern sie sollte als wichtiges gestalterisches Mittel zur Atmosphäre von Kargheit und Bescheidenheit betragen. Die mit brasilianischen Kiefernbrettern verschalte Decke – ursprünglich hell, später um eines deutlichen Kontrastes willen in der Farbe finnischer Mooreiche gestrichen – gemahnt an die offenen Dachstühle mittelalterlicher italienischer Kirchen. Zum südlichen Flair in den hellen rauen Mauern, deren Ziegel durch den Verputz durchscheinen, trägt auch der Bodenbelag bei, gräulich-beigefarbene Sandsteinplatten von der Ruhr, in römischem Verband gelegt. Sie senken sich der besseren Sicht halbe dem Chorraum zu.
Raumgliederung
Beim Wiederaufbau hat Steffann stehengebliebende Bauteile, Trümmerschutt und Werkstücke der zerstörten Kirche unter Nutzung eines teils der alten Fundamente miteinbezogen.
Der Neubau ist zwischen die beiden westlichen Treppentürme und den verbliebenen südlichen Glockenturm gespannt. Der nördliche Turm musste aus statischen Gründen gesprengt werden.
Der ehemals basilikale, kreuzförmige Grundriss wurde in eine asymmetrische stützenlose Anlage umgewandelt.
Unter einer freitragenden Satteldachkonstruktion sind drei in Größe und Bedeutung verschiedene Sakralräume geborgen.
Der große stützenlose Hauptraum erstreckt sich auf längsrechteckigem Grundriss vom Portal im Westgiebel bis zur tiefen, fensterlos geschlossenen Apsisrundung im Osten. Er entspricht in seinen Ausmaßen in etwa dem ehemaligen Hauptschiff mit seinen beiden begleitenden Nebenschiffen.
Durch Abschleppung des Satteldaches nach Norden ergibt sich ein kleinerer seitlicher Raum, zugleich getrennt und verbunden durch einen weiten Rundbogen als Pendant zum gegenüberliegenden südlichen Rundbogenfenster. Auf den Hauptaltar bezogen, dient dieses Nebenschiff als Erweiterung des Hauptraumes. Da es zudem mit einem eigenen transportablen Altar ausgestattet ist, ist es auch Werktagskapelle für einen kleineren Personenkreis.
Im Nordosten schließt sich die kleinste Raumeinheit an, die Anbetungskapelle. Sie ist für das stille Gebet, für Meditation und Gruppengottesdienste gedacht. Von allen drei Sakralräumen einsehbar ist der Tabernakel.
Ausstattung – Rundgang
Durch das Hauptportal mit seinen zwei Türöffnungen gelangt der Besucher in einen kleinen Vorraum. Erinnerungen an den Narthex frühchristlicher Kirchen, Schwelle und Ort der Sammlung.
Zwei mit Glastüren verschlossene Rundbogenportale laden zum Eintritt in den Kirchenraum ein.
Vor dem rieseigen Rundbogenportal in der westlichen Giebelwand, das mit zwei seitlich eingelassenen Türen auf den Vorhof führt, befindet sich der Ort der Taufe. Er liegt nahe des Eingangs, aber in der Achse und als Gegenpol des Altares im Osten. So hat der Gläubige auf seinem Weg zum Altar den Bereich den Bereich der Taufe immer zu passieren, seinen eigenen Weg als Christ in zeichenhafter Weise immer wieder neu zu beschreiten.
Auch in der Gestaltung des Taufbezirks greifen Steffann und der Bildhauer H.G. Bücker, Vellern, auf altchristliche Vorbilder zurück. Hier ist es der Taufbrunnen, die Piscina, in der man in früherer Zeit die Erwachsenentaufe durch völliges Untertauchen des Täuflings vornahm.
Schutz vor Verunreinigung bietet ein hölzerner, in Bronze eingefasster Deckel, auf dem drei stilisierte bronzene Pfauen hocken, einst Sinnbilder der Auferstehung und Unsterblichkeit, da ihr Körper als unverweslich galt, und unmittelbares Symbol der Taufgnade. Durch ihre Körper sind die Schlaufen von drei Tauen gezogen, die von einer schwebenden Taube als Kontergewicht gespannt werden. Die Taube steht als Symbol für den Heiligen Geist.
In dem Hebemechanismus, wenn der Deckel für die Tauffeier hochgezogen wird, und sich die Taufe hinabsenkt, wird die Herabkunft des Heiligen Geistes symbolisiert.
Neben dem Taufbrunnen steht der Osterleuchter aus einer Marmorsäule des zerstörten Hauptaltars.
Wendet man sich nun wieder dem Eingang zu, ergänzt links neben diesem eine weitere Rundbogenöffnung das Portal zum Dreierbogen. Man bedenke den Symbolgehalt der Zahl Drei! Durch den Rundbogen gelangt der Besucher in ein kleines Kapellchen. Eine einfache Pietá aus Stein, geschaffen von Theo Heiermann, Köln, ist hier aufgestellt. Links in der Wand gegenüber befindet sich eine Nische mit einer Madonna aus Holz, datiert auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Sie ist ein nicht eigentlich kirchliches Stück und kommt aus einem Treppenhaus in Würzburg.
An der Südwand ist eine größere Nische für einen Beichtstuhl.
Schlicht und formschön sind das hellbraune Eichengestühl – 400 Sitzplätze im Hauptraum, dazu noch einmal 100 in der Werktagskapelle – und die Beichtstühle von Hugo Kückelhaus, Soest.
Auch die formgerechten Messingtürgriffe, organisch geschwungen, ganz im Stil der fünfziger Jahre, oder die stabförmigen Holzgriffe an den Glastüren sollten nicht übersehen werden; schließlich die noch originale Kunstlichteinlage „zuckerhutförmiger“ Pendelleuchten, die Chor- und Gemeinderaum in einer Parabel zusammenschließt.
Das durch das Westportal, Triumphbogen und Introitus zugleich einflutende Tageslicht lenkt den Blick des Besuchers auf die Mitte des Raumes, den Altar, wo es sich mit einer weiteren Lichtbahn vom südlichen Rundbogenfenster schneidet.
Der ein Meter hohe Altar von strenger Wucht erhebt sich hell beleuchtet vor der durch zwei scharfkantige Mauervorsprünge verschatteten Apsisrundung.
Er ist weit in den Raum der Gemeinde vorgezogen, allseits umschreitbar und als urchristlicher Mahltisch von jedem Aufbau frei. Seine an der Unterkante zur Mitte hin in stumpfem Winkel zulaufende Mensa ist aus hellem Muschelkalk. Getragen wird sie von zwei mächtigen Pfeilern aus Sandstein. Geschaffen hat den Altar H.G. Bücker nach einer Idee von Emil Steffann.
Der Tabernakel erhielt seinen würdigen Ort an der Schnittstelle der drei Sakralräume. Die erste schlichte Stele von H.G. Bücker wurde 1988 durch einen neuen Tabernakel vom selben Künstler ersetzt. Seine filigrane Form symbolisiert einen Lebensbaum und lässt die leuchtenden Farben des Glasfensters wie eine Gloriole hinter der rundbogigen Maueröffnung hervorglühen. In seiner Mitte enthält ein Gehäuse mit dem Lamm Gottes auf einer Bergkristallscheibe die Eucharistie.
In der Bonifatiuskirche wurde schon neun Jahre vor dem Konzil die nicht unumstrittene Trennung von Vollzug und Aufbewahrung des Sakraments durchgesetzt, um dem Ereignischarakter der Eucharistie wieder sinnfällig Gestalt zu geben.
Das Apsisrund geht auf die mit einer Halbkugel überwölbten römischen und ravennatischen Apsiden zurück. Was jene jedoch in frühchristlicher Zeit mit einem prächtigen, golddurchwirkten, figurativen Mosaikteppich meinten, kann im 20. Jahrhundert nur die Leere bedeuten, die die eigene Vorstellungskraft herausfordert.
Um den Altar stehen acht moderne, schlichte Bronzeleuchter, ebenfalls von H.G. Bücker. In ihrer Mitte überragt sie ein Gemmenkreuz ohne Korpus, allein mit Halbedelsteinen gestaltet, geschaffen von Hildegard Domizlaff, Köln. Das Apsisrund umläuft eine Sitzbank – Erinnerung an die alte Presbyterbank. Ihr Scheitel, in früherer Zeit Ort des Bischofstuhls, ist allerdings leer belassen.
Den Ambo schuf 1988 H.G. Bücker aus 5000 Jahre alter finnischer Mooreiche. Der Chorraum wird erfüllt durch den Dreiklang von Wortverkündung, Eucharistie und Anbetung.
Die Kommunionbank aus finnischer Mooreiche ist so unaufdringlich, dass sie zwar die Würde des Altarbezirks anzeigt, keinesfalls aber die Gemeinschaft von Gemeinde und Priester stört.
Um die südöstliche Ecke des Chorraums schmiegte sich ursprünglich der von Steffann selbst entworfene Orgelprospekt. Leider musste er in den siebziger Jahren aus technischen Gründen – der Sonneneinfall durch das Südfenster erwärmte und verstimmte das südliche Orgelwerk – einer neuen, um sieben Register erweiterten Orgel weichen.
Sie wurde 1972 von der Firma Kemper, Lübeck, erbaut. Ihre 26 Register sind verteilt auf 3 Manuale und Pedal.
Nach Norden gelangt der Besucher nun in das Seitenschiff, das durch ein weiteres Rundbogenfenster an seiner westlichen Wand erhellt wird. Ihm gegenüber ist in die Trennwand zwischen Nebenschiff und Sakramentskapelle ein Beichtstuhl eingelassen.
Durch eine Glastür gelangt man in einen weiteren Zwischenraum, von dem eine Pforte ins Freie führt.
An der Seitenwand sind die aus der alten Kirche stammenden, beschädigten Standbilder der Apostel Petrus und Paulus aufgestellt.
Von diesem kleinen Vorraum aus betritt man auch die Anbetungskapelle. Hier hält wohl jeder Besucher bei der jetzt direkten Begegnung mit Hans Kaisers Glasfenster den Atem an. Sein Thema ist der „Brennende Dornbusch“ und es wird als Mitte von Kaisers Werk angesehen. Das Fenster will in seinem glühenden Farbregen nicht allein schön oder gar dekorativ sein, sondern es fordert – wie die ganze Kirche – zu innerer Sammlung auf. Eine kleine Rundbogennische in der Wand zum Chorraum birgt die „brasilianische Madonna“ nach dem Heiligtum der Brasilianer in Aparecida. Sie ist ein Geschenk der Partnergemeinde Santa Cristina in São Paulo.
Bedeutendstes Charakteristikum des Äußeren ist die vollkommen gelungene Einschmelzung von Resten einer konventionellen historischen Kirche in einen modernen Neubau. Das verbaute Material, gespaltener einheimischer Ruhrsandstein in unregelmäßigem Verband mit Fugenbestrich, belebt die kargen, ungegliederten Wandflächen. Der aufmerksame Betrachter findet ab und an ein Werkstück der alten Kirche im Mauerwerk eingebettet, so über dem Scheitel des Doppelportals.
Äußeres Erscheinungsbild
Auf den Mauern ruht ein flach geneigtes römisches Satteldach.
Braun engobierte Pfalzpfannen schützen das Kirchendach. Die Türme und die Apsis sind schiefergedeckt.
Die beiden übernommenen Türme werden von flacheren Hauben als den vormals spitzen Turmspitzen bekrönt.
Das Erdgeschoss des Hauptturmes wird vom Anbau der Sakristeiräume eingefasst. Darüber ragt der Turm bis zur jetzt modernen Glockenkammer unverändert empor.
Die drei Türme setzen die vertikalen Akzente an dem aus den innerräumlichen Notwendigkeiten entstandenen breit gelagerten Bau. Die Verschleifung der westlichen Türme mit der Giebelwand erscheint wie die Abkürzung der traditionellen Gruppierung.
Weitere Gliederungselemente, die die Wucht der Mauerflächen zunächst übersehen lassen, unterstreichen die Anklänge an romanische Architekturen: Wandvorlagen, Lisenen, Strebepfeiler und nicht zuletzt die Rundbögen.
Stilzitate um der Dekoration willen sind allerdings nicht Steffanns Sache. Vielmehr ist es sein Anliegen, tradierte Formen unter einer Hülle aus Besonderheiten aufzufinden, die aus elementarer Bedürfniserfüllung heraus hervorgebracht worden sind.
Wie auch das Innere ist der äußere Raum um die Kirche in Zonen, Schwellen aufgeteilt, die es für den Besucher zu überschreiten gilt, bevor er den Kircheninnenraum selbst betritt.
Gen Norden erscheint die Anlage durch das tief hinabgezogene Dach und die fensterlose Außenwand äußerst unzugänglich. Doch schon ein paar Schritte weiter gelangt der Besucher durch ein kleines Tor in einen durch eine Mauer von geringer Höhe zur Straße abgeschlossenen Vorhof. Er ist sakraler Vorraum. Das Innere ist nur durch die gläserne Membran des Westportals abgeschirmt. Dies ist als großzügige Einladung zu verstehen, die Schwellen zu nehmen und einzutreten. Doch zuerst führt der Weg unter dem niedrigen Vordach zwischen Kirche und Pfarrhaus auf den allseitig begrenzten Pfarrhof.
Ein Strebepfeiler bietet eine weitere Schwelle vor dem Südfenster, hinter dem der Altar liegt.
Eine Glocke aus dem Jahre 1909, geweiht der Hl. Agnes, steht als stummer Zeuge vergangener Glockenherrlichkeit vor dem Südfenster.
Im Osten ist der Pfarrhof durch einen überdachten Gang zwischen Sakristei und Gemeindehaus zur Straße geöffnet.
Folgt man diesem kleinen Weg zur Eintrachtstraße, so trifft der Besucher auf ein kleines Felshäuschen, das eine Madonna von H.G. Bücker beherbergt und zum kurzen Verweilen und Gruß einlädt.
Der Besucher wird durch die behutsame Führung durch verschiedene Orte, die sich dem Betrieb der Straße immer mehr verschließen, zu Vorbereitung und Sammlung aufgefordert, bevor er das Innere betritt. Diese Absicht des Baukünstlers fasst die kleine Torbogenplastik mit dem biblischen Nadel-Öhr-Gleichnis von H.G. Bücker zusammen.
Bedeutung
In der St. Bonifatiuskirche in Dortmund ist schon neun Jahre vor der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils die liturgiegerechte Ordnung des Kirchenraumes verwirklicht.
Geprägt durch den Rothenfelser Kreis um Rudolf Schwarze und Romano Guardini hat besonders der Theologe Heinrich Kahlefeld auf Steffanns Raumgestaltung eingewirkt.
Die in Dortmund gefundene Raumordnung behält Steffann bei formal immer größerer Strenge auch in all seinen zukünftigen Bauten bei. St. Bonifatius als früher Nachkriegsbau besitzt aber durch die historischen Vorgaben bedingt eine herausragende Stellung. Das Zusammenwirken der asymmetrischen Raumlage mit den harmonisch verteilten Bauformen erzeugt eine unterschiedliche Spannung im Raum.
Eine subtile romantische Tendenz, die an Dominikus Böhms Kirchen erinnernde expressionistische Färbung der weiten dramatischen Rundbögen, dies alles macht den besonderen Stimmungsgehalt des Raumes aus. Dazu noch die Wiederverwendung des Trümmergesteins: Die alte wilhelminische Architektur wird überwunden, indem verbliebene Reste und ihre Steine dem Aufbau des Neuen dienen.
Das Mauerwerk mit seinen Zeichen und Verwundungen der Vergangenheit und den Spuren des natürlichen Alterungsprozesses wird bewusst in die Gestaltung miteinbezogen.
Der häufig eingesetzte Rundbogen ist nicht Stilzitat, sondern ergibt sich zwangsläufig, da Bruchstein zur Überdeckung von Öffnungen den runden Bogen fordert. Er gehört somit zu den elementaren Bauformen.
So wie die innerräumliche Aufteilung urchristliche Werte wiederbelebt, knüpft auch die formale Gestalt and die „asketische Traditionslinie“ christlicher Baukunst an.
Besonders beeindruckt hat Emil Steffann in jungen Jahren die franziskanische Einfachheit Assisis, In seinem Werk finden sich daher Anklänge an Bilder der Baugeschichte, die von einem ähnlichen Geist künden: Die frühchristlichen Stadtrandkirchen Roms, die Architektur der Zisterzienser und die der Bettelorden mit ihren Predigtscheunen.
Letztere hat Steffann 1943 in der Not von Verfolgung und Krieg wörtlich genommen. In Lothringen errichtete er eine als Scheune getarnte Dorfkirche aus den Trümmern kriegszerstörter Häuser. Verbunden ist er mit dieser Betscheune als Zeichen des Trostes in der Not dem großen evangelischen Kirchenbauer Otto Barning und dessen Notkirchen.
Solche Bescheidenheit strahlt auch die Dortmunder Bonifatiuskirche aus, die entstanden ist in einer Zeit, in der die Wirtschaft wieder aufblüht, und die Schrecken der Vergangenheit verdrängt werden.
Und gerade heute, vierzig Jahre nach ihrer Entstehung, sollte sie uns mehr denn je Vorbild sein:
Durch den umweltbewussten, sparsamen Umgang mit dem Baumaterial, der materialgerechten Konstruktion und ihrer schlichten mediterranen Klarheit, in der bei aller Modernität die Tradition der Baukunst sichtbar aufgehoben ist.
Jenseits der reizüberflutenden Konsum- und Medienwelt hat der Besucher in den hellen, leeren Mauern von St. Bonifatius Gelegenheit zum Atemholen.
Susanne Lenfers-Roth